Das Saturn-Siegel als magisches Quadrat
Entwurf einer Typologie − Teil 1

Vielen von euch dürften die zahlreichen Beispiele für Saturn-Repräsentationen in Mainstreamprodukten, die Claudio in seinem noicon101-Blog zeigt, bekannt sein. Ich möchte an dieser Stelle die Aufmerksamkeit auf einen dort nicht behandelten Aspekt richten: das Saturn-Siegel als magisches 3x3-Quadrat.

Das Saturn-Siegel genannte magische 3x3-Quadrat hat die Eigenschaft, dass die senkrechten und waagerechten Zahlenreihen sowie die beiden Diagonalen jeweils die Summe 15 ergeben. Die Quadratstruktur bildet genau acht Varianten, die durch Drehung oder Spiegelung erzeugt werden können. Bei allen Varianten steht die Zahl Fünf im Zentrum.

     

Die acht Varianten des magischen 3x3-Quadrates


Zwei Wege
Das Saturn-Siegel enthält eine lückenlose Zahlenreihe von eins bis neun. Will man die Eins mit der Neun verbinden, kann man dies auf zwei Wegen tun: Entweder man verbindet die Zahlen in aufsteigender (oder absteigender) lückenloser Reihenfolge ('langer Weg') oder man verbindet auf kürzestem geometrischen Weg die niedrigste mit der höchsten Zahl ('kurzer Weg'). Der lange Weg erzeugt das Saturnsiegel als Figur.



Saturnsiegel als Figur


Direkte 1-9-Verbindung


Die Zahlenreihe 1 - 5 - 9 des kurzen Weges weist eine Eigenschaft auf, die eine Beziehung zum Planeten Saturn hat:


Kombiniert man die erste und die mittlere Zahl zur Zahl 15 und addiert sie zur Summe aus mittlerer und letzter Zahl, ergibt sich 29 als Ergebnis. Die Umlaufzeit des Planeten Saturn um die Sonne beträgt etwas mehr als 29 Jahre. Dieser Zusammenhang könnte der Grund sein, aus dem das magische 3x3-Quadrat mit diesem Planeten identifiziert wird (zur Zuordnung magischer Quadrate zu Wandelsternen auf Amuletten siehe hp-gramatke).


Anhand von Bildbeispielen werde ich nun verschiedenen Varianten (Permutationen) des magischen Quadrates in ihren jeweiligen Bildkontexten spezifische Bedeutungen zuordnen.




  Aufstiegs-Hoffnung


Die britische Band Simply Red veröffentliche 1987 das EP-Compilation-Album 12'' ERS. Auf dem Cover posiert ein blutjunger Musiker mit einem Saturn-förmigen Hut in einem Bildformat, das drei aufeinander gestapelten Quadraten entspricht. Im mittleren dieser Quadrate lassen sich Hinweise auf eine Variante des magischen 3x3-Quadrates versammeln, bei der die niedrigste Felderzahl Eins unten und die höchste Felderzahl Neun oben steht. Zählt man aufwärts, so ergibt sich eine Bewegung von unten nach oben, die sich als Aufstiegshoffnung, als Traum vom Erfolg des jungen Musikers deuten lässt.



Cover des EP-Compilation-Albums 12'' ERS

Während die Welt-Stars Beatles im folgenden Bildbeispiel vom Gipfel ihres Erfolges herabblicken, dürfte für den jungen Musiker auf dem Simply Red-Cover der Erfolg noch in den Sternen stehen. Fasst man die lückenlose Zahlenfolge des magischen Quadrates als Auf- oder Abstiegsweg auf, entspricht die untere Variante des magischen Quadrates der Bewegung von oben nach unten (1 oben, 9 unten), die der Blickrichtung der jungen Herren entspricht. Im oberen Beispiel ist es umgekehrt: Hier deutet die 1 die Anfangsposition an (unbekannter Anfänger), während die 9 (erfolgreicher Aufstieg) (noch?) nicht zu sehen ist.

Das Saturnmotiv passt auf eine EP-Compilation, weil der bespielte Teil einer EP, so sie LP-Format hat, einen äußeren Ring bildet. Zwischen dem äußeren, bespielten Teil und dem kreisförmigen Label im Zentrum bleibt ein Freiraum, was dem Leeraum zwischen den Staubringen des Saturn und dem Planetenkörper im Zentrum entspricht.


  Von oben herab


Vier schnieke Jungs mit Saturn-förmigen Melonen vor Logeneingang, die nach ihrem Durchbruch im Jahr 1963 hier die Stufen zum Erfolg bereits erklommen haben (Cover der August-Ausgabe der Zeitschrift POST, Jahrgang 1964). Der Türrahmen des Logeneingangs deutet im Zusammenspiel mit der Oberkante des Gitterzaunes am linken und rechten Bildrand ein Quadrat an. Fünf sichtbare Schuhe verweisen auf die zentrale Fünf in allen Varianten des magischen 3x3-Quadrates. Die spezielle Variante, bei der erste und letzte Zahl der Zahlenreihe eine Bewegung von oben nach unten andeuten, entspricht der Blickrichtung der vier jungen Herren, die hier reichlich blasiert aus der edlen Wäsche gucken.



   Titel der Saturday Evening Post, August 1964

Die Zeitschrift, die die Beatles hier mit angedeutetem Saturn-Siegel zeigt, heißt passenderweise The Saturday Evening Post. (Zur Herkunft des Wochentagsnamens "Saturday" vom Planetennamen Saturn siehe Wikipedia, "Wochentag".)

Zwei Jahre später posieren die Fab Four für ein Fotoshooting in Schlachterkitteln mit nackten, zerteilten Babypuppen und rohen Fleischstücken. Eines der Fotos wird zum Covermotiv des Albums "Yesterday and Today" (1966). Die Armbanduhr im Bildzentrum steht für den römischen Gott Chronos, den Gott der Zeit, der häufig mit Kronos, der griechischen Entsprechung des römischen Saturnus gleichgesetzt wird.

Nach Protesten wurde die Vorderseite der Hülle mit einem entschärften Cover überklebt. Das neue Cover zeigt die Stars nicht mehr als babyschlachtende Saturnpriester, behält aber den Saturnbezug durch Andeutung eines magischen 3x3-Quadrates bei. Die linke Seitenwand, die Öffnung und der Deckel des bleigrauen Koffers bilden drei Rechtecke, deren Proportionen jeweils drei aneinandergefügten Quadraten entsprechen. In der Alchemie ist dem langsam umlaufenden Wandelstern Saturn das schwere, quasi träge Metall Blei zugeordnet.



Fröhliche Babyschlächter (ursprüngliches Albumcover)


Entschärftes Albumcover mit Saturn-Siegel-Andeutung (größere Abb.)



  Drei Monolithe


"2001: Odyssee im Weltraum ist ein Science-Fiction-Roman von Arthur C. Clarke aus dem Jahr 1968. Er entstand zeitgleich zum gleichnamigen Film auf Basis von Clarkes Kurzgeschichte The Sentinel, weicht aber teilweise von den Ereignissen in Stanley Kubricks Verfilmung ab. [...]

Inhalt: Eine Gruppe von Menschenaffen in Afrika entdeckt drei Millionen Jahre vor Christus einen schwarzen Monolithen, der von unbekannten Außerirdischen aufgestellt wurde. Durch den Kontakt mit dem Monolithen beschleunigt sich die Intelligenzentwicklung der Gruppe, woraufhin die Menschenaffen beginnen, Werkzeuge herzustellen. Mit deren Hilfe sind sie nun in der Lage, alle anderen Tiere zu töten und sich somit an die Spitze der Nahrungskette zu hieven.

Es folgt ein Sprung ins Jahr 1999, in dem der Wissenschaftler Dr. Heywood Floyd auf einer geheimen Mission zum Mond unterwegs ist. Dort wird ihm mitgeteilt, dass im Mondkrater Tycho ein schwarzer Monolith entdeckt wurde, der eine starke Störung des Magnetfelds verursacht. Er sendet zudem ein Signal zum Saturnmond Iapetus."
(Wikipedia, "2001: Odyssee im Weltraum (Roman)")

Später wird Floyd von der Bodenstation eröffnet, dass die Reise Richtung Saturn geht. Auf dem Saturn entdeckt der überlebende Weltraumfahrer schließlich einen weiteren, größeren schwarzen Monolithen.

Insgesamt erscheinen im Film also drei schwarze Monolithe.

Das Filmplakat (oder VHS-Cover ?) zeigt ein Rechteck, dessen Proportionen drei aufeinander gestapelten Quadraten entspricht und so eine Reihe des magischen 3x3-Quadrates andeutet.



  Filmplakat (oder VHS-Cover ?) (Quelle)


 


Mehrere Künstler haben − unabhängig von Buch- und Filmproduktion − visuelle Elemente des Films aufnehmend Poster gestaltet, in denen ebenfalls auf das magische 3x3-Quadrat angespielt wird:



 Plakat von Daniel Keane (Quelle)


 


Das Plakat von Olivia Sabo deutet im mittleren Segment eine Sense an (Bogen oben als Sensenklinge). Die Sense ist das Attribut des griechischen Zeit-Gottes Chronos. Aufgrund der Namensähnlichkeit und des ähnlichen Attributes wird er häufig mit dem griechischen Gott Kronos (Attribut: Sichel) gleichgesetzt, der dem römischen Gott Saturnus entspricht. Auch auf diesem Plakat findet sich eine 3er-Quadratreihe.



 Plakat von Olivia Sabo (Quelle)


'Versteckte' Sense


3er-Quadratreihe






Teil 2
Saturn und Sirius
Ein altägyptischer Kalender als Bildmotiv
Der altägyptische Verwaltungskalender gliedert sich in 295 profane Tage und 70 Tage der Abwesenheit des Sterns Sirius ("Einbalsamierungszeit"). Das Wiedererscheinen des auffälligen Sterns markiert den Jahreswechsel. Will man die Grobstruktur des Kalenders in einem Bildzeichen darstellen, stellt sich das Problem der sehr ungleichen Zeitdauern der beiden Teile, was bei einer analogen Darstellung zu zwei Strecken mit sehr unterschiedlichen Längen führt (etwa im Verhältnis 1:4 - siehe Abb.), die sich schwerlich in ein Bildmotiv gießen lassen.



   Analoge Darstellung (Streckenlängen entsprechen Zeitdauer)





  Nicht-analoge Darstellung

Man verwendet deshalb einen Repräsentanten für die 295 Tage und das ist der Wandelstern Saturn mit seiner Umlaufzeit um die Sonne von etwa 29,5 Jahren. Beiden gemeinsam ist die Zahlenfolge 295. Nun ergibt sich ein harmonischeres Verhältnis der Streckenlängen von 29,5 Längeneinheiten zu 70 Längeneinheiten, was etwa dem Verhältnis 1:2 entspricht. Dadurch bekommen die 'heiligen' Tage der Einbalsamierung so optisch mehr Gewicht.

In den folgenden Bildbeispielen wird der Saturn durch eine Andeutung des magischen 3x3-Quadrates vertreten. Schauen wir uns die Repräsentation der beiden Jahresteile in einem Freimaurer-Schmuckstück an:



The Scottish Royal Arch Jewel (Rückseite)
Bundeslade auf Säule oder Räucheraltar
roter Bogen = Horizontlinie




Längenverhältnis Altarfuß-Altaroberseite zu Altaroberseite-Sternzentrum










  Vereinheitlichung der Dogmatik

Albrecht Dürers Kupferstich "Hieronymus im Gehäus" zeigt den "Kirchenvater" Sophronius Eusebius Hieronymus in seiner Schreibstube. "Hieronymus ist der Verfasser der Vulgata, der lange Zeit maßgeblichen Bibelübersetzung der katholischen Kirche. Er übersetzte in ein Latein, das er behutsam dem Sprechlatein seiner Zeit annäherte. Für das Neue Testament überarbeitete er die ältere Übersetzung Vetus Latina (früher auch Itala genannt)." (Wikipedia, "Hieronymus_(Kirchenvater)")
Ein Übersetzer nimmt durch seine Wortwahl Einfluss auf den Sinn des Textes. Hieronymus schafft eine weithin anerkannte, quasi populäre Bibel-Übersetzung und trägt damit zur Vereiheitlichung der christlichen Dogmatik bei.

An der Wand hängt sein Kardinalshut, ein Saturno oder Galeo, neben einem Stundenglas. Der römische Gott wird − fälschlich, wie manche meinen − mit dem Gott Chronos, dem Gott der Zeit, identifiziert. Die in Quadrate gegliederte Butzenglas-Fensterfront deutet ein 3x3-Quadrat an.



Dürer: Hiernymus im Gehäus (1514, Ausschnitt)




Links

• Wikipedia, "Magisches Quadrat"
• Hans-Peter Gramatke: Magische Quadrate: Geschichte
• Jürgen Köller: Magische Quadrate
• Helmut Rösing: Heavy Metal, Hardrock, Punk: Geheime Botschaften an das Unbewußte? [PDF]